Verabredung zu einem Spaziergang mit Ahmad Katlesh – er hat auch schon eine Idee, wo: „Vielleicht vier Kilometer von hier entfernt gibt es einen kleinen Fluss, die Rur.“
Inzwischen kennt sich der Syrer gut aus in Düren. „Ja, ich laufe dort dreimal pro Woche“, sagt er und lacht.
Dann klappt Ahmad Katlesh den Jackenkragen hoch, zieht noch mal das Haargummi stramm, mit dem er seine dunklen langen Locken auf dem Hinterkopf zusammengeknotet. Dann kann es losgehen.
Seit gut drei Jahren lebt der Schriftsteller in der knapp 100.000-Einwohner-Stadt zwischen Köln und Aachen. Hier sei es natürlich ganz anders als in der syrischen Millionenmetropole Damaskus, wo er geboren ist, sagt der 32-Jährige. Aber die Menschen hier hätten ihn so gut aufgenommen.
„Der Bürgermeister hat mir mit der Wohnung geholfen.“ Er habe mit dem Theater und Schulkindern an einem Stück arbeiten können. „Das war sehr cool, auch wenn ich nicht sehr gut Deutsch spreche. Wir haben einen ‚Creative Writing‘-Workshop veranstaltet und ein Theaterstück. Das war sehr schön.“
Über das Gefühl der Heimatlosigkeit, das ihn trotzdem immer wieder erfasst, schreibt Ahmad Katlesh. Das Bild der Straßen, durch die wir gerade gehen, ist dabei ein wichtiges Motiv:
„Jeden Tag verschwindet eine Straße aus meinem Kopf, aus Damaskus, entsteht ein weiterer weißer Fleck auf meiner Karte. Ich schließe die Augen, gehe durch das Gedächtnis einer alten Gasse, erreiche das Ende, stürze. Weiß nicht mehr, was dort war, falle tiefer, in eine andere Straße. Damaskus vertikal.“
„In unserer Familie wurde nicht gelesen“
Ahmad Katlesh schreibt schon in jungen Jahren Gedichte und Kurzgeschichten. Die Literatur habe ihm als Teenager Welten geöffnet, erzählt er.
„Lesen war für mich sehr neu, denn in unsere Familie wurde nicht gelesen. Wenn ich ein Buch nach Hause mitgebracht habe, hat mein Vater gesagt: Was soll das? Mein Vater war der Meinung, dass solche Sachen nicht wichtig sind.“
Die Familie besitzt ein Geschäft in Damaskus. Ahmad hilft und studiert nach der Schule Mathematik. Aber mit 22 veröffentlicht er auch schon sein erstes Buch, erhält wenig später einen Literaturpreis, beginnt als Journalist beim syrisch-palästinensischen Radio zu arbeiten. Zur gleichen Zeit bricht der Krieg aus.
„Ich hatte ein Problem mit dem Assad-Regime und ich konnte deshalb nicht weiter in Damaskus leben. Ich musste weg aus Syrien.“
Plattform für alle Arten arabischer Literatur
Das war vor acht Jahren. Ahmad Katlesh flieht nach Jordanien, lebt dort anfangs im Flüchtlingscamp Zaatari. Aber er will darüber nicht klagen:
„Was passiert ist, hat mich trotz allem sehr bereichert. Denn ich habe doch alles getan, was ich wollte: Ich habe drei Bücher veröffentlicht. Ich habe meine Arbeit als Journalist fortgesetzt, als Schriftsteller und auch als Podcaster gearbeitet.“
Denn Ahmad Katlesh möchte, dass auch andere syrische und arabische Autorinnen und Autoren Gehör finden. Deshalb gründet er in Jordanien “Tiklam“:
„Tiklam ist eine Plattform für Audiotexte, Gedichte, Geschichten, für alle Arten arabischer Literatur. ‚Tiklam‘ ist ein altarabisches Wort und bedeutet ‚viele gute Sprüche‘.“
Das „gute Sprechen“ übernimmt der Syrer dabei selbst. Mit sonorer Stimme nimmt er die Texte auf, arrangiert sie mit Musik und stellt sie in seiner Soundcloud online.
„Ich möchte Literatur zu den Leuten bringen, zeigen, was die neuen Dichter schreiben. Das ist mein Ziel. Und viele Leute mögen das: Ich habe jeden Tag fast 5000 Klicks und insgesamt wurde ‚Tiklam‘ schon fast acht Millionen Mal angeklickt – für Literatur!“
Herausfordernde Übersetzung arabischer Poesie
Durch ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung kommt Ahmad Katlesh 2017 nach Deutschland. „Es ist sehr schön und es war ein Abenteuer.“
„Weiter schreiben“, die Plattform für Schreibende aus Kriegs- und Krisengebieten, veröffentlicht seine ersten Arbeiten auf Deutsch.
Wir sind wieder vor der Haustür angekommen. Ahmad Katlesh will mir noch seinen neuesten Gedichtband zeigen: sein erstes Buch auf Deutsch.
Es wurde durch das Chamisso-Publikationsstipendium der Friedrich-Bauer-Stiftung ermöglicht. Der Schriftsteller und Verleger Michael Krüger hat Katlesh dazu der Bayrischen Akademie der Künste vorgeschlagen. Den speziellen Klang der arabischen Poesie ins Deutsch zu übersetzen, sei Schwerstarbeit gewesen, erzählt der Syrer.
„Kerstin Wilsch, sie war sehr nett. Ja, sie hat so viel Geduld mit mir.“
Der Titel des Gedichtbandes von Ahmad Katlesh: „Das Gedächtnis der Finger“.